über die Arbeit mit mehrsprachiger Erzählkunst
Bericht von Volkan Gültekin, Mersin, Türkei
Für mich sind Geschichten…
…berühren, träumen, in meiner Phantasie reisen und Gemeinsamkeit. Das Leben genießen. In die Vergangenheit reisen. Lachen. Weinen…
Ich werde versuchen, die Erfahrung, gemeinsam in Deutschland Geschichten erzählt zu haben, anhand der oben aufgeführten Gefühlen darzustellen.
Für mich als einer, der erst vor kurzem begonnen hat, Geschichten zu erzählen, war die Erfahrung, an den Berliner Schulen Geschichten zu erzählen, einzigartig und hat mich unglaublich glücklich gemacht. Die Gefühle, die bei mir mit Geschichten einhergehen, habe ich in Berlin durchlebt. Das hat mir gezeigt, wie wichtig unsere Tätigkeit ist. Unten habe ich versucht, meine Beobachtungen zu unserer Arbeit zusammenzufassen.
Meine wichtigen Erfahrungen aus der Arbeit sind:
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Eine Schule und ein Bildungsmodell kennenzulernen, die anders als die mir bekannt sind.
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Die Reaktionen der Kinder auf Geschichten und auf das Geschichtenerzählen zu erleben.
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Die Rücksichtnahme und die Sensibilität bei der Arbeit mit Kindern in Gruppen zu erleben.
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Ich habe gesehen, wie die Kinder, die die Geschichte in ihrer Muttersprache hörten, aufgeregt waren und es kaum erwarten konnten, sich zu beteiligen. Das hat gezeigt, wie maßgeblich die Muttersprache für die Teilnahme sein kann.
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Kinder mit unterschiedlichen Muttersprachen haben die Geschichte auf sich wirken lassen und die ganze Geschichte verstanden.
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Ich habe erlebt, wie die Kinder, die unterschiedliche Sprachen sprechen, in einen Dialog mit den Kindern, deren Muttersprachen Deutsch und Arabisch sind, getreten sind und wie eine kulturelle Interaktion stattgefunden hat.
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Ich habe erlebt, dass die Kinder eine Neugier auf andere Sprachen hatten.
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Die Kinder haben aus dem Erzählten, aber auch aus der Köpersprache heraus ein Verständnis für die Geschichte entwickelt und sind an der Geschichte drangeblieben.
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Die Freude der Kinder aus der Türkei, als sie hörten, dass ich aus der Türkei komme und die Traurigkeit der Kinder, deren Muttersprache Arabisch ist, als sie hörten, dass Ahmad nicht kommen konnte, war eindrücklich.
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Eines der Kinder aus der Türkei erzählte, dass es zum ersten Mal eine Veranstaltung auf Türkisch an seiner Schule erlebe und wie glücklich es darüber sei.
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Ich habe persönlich erlebt, wie Geschichtenerzählen in unterschiedlichen Sprachen eine kulturelle Bindung schaffen kann.
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Ich konnte die Bemühungen der Kinder sehen, die in unterschiedlichen Sprachen erzählte Geschichte, aus der Körpersprache und von dem Gehörten durchgehend mitzuverfolgen.
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Nach jedem Erzählen habe ich gefühlt, wie ich die Kinder berührt/erreicht habe.
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Ich hatte das Gefühl, mich in die Geschichten der Kinder einfühlen zu können/ein Teil von ihnen zu werden.
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Ich glaube, meine wichtigste Beobachtung ist, gemeinsam inmitten einer Geschichte zu sein und das Zustandekommen von etwas gemeinsam zu erleben, überrascht zu sein, zu lachen, zu denken, zu sehen und gemeinsam auf der Suche zu sein.
Ich habe, Dank Britta, vom Beginn der Aktivität an viel Erfahrung gesammelt. Die Aktivität war für mich quasi eine Ausbildung. Was ich meine ist, dass ich die Erfahrung mitgenommen haben, wie die Phasen des Geschichtenerzählens – also die Vorbereitung, die Aufführung und die Auswertung – gestaltet werden.
Die Magie des mehrsprachigen Erzählens
Britta Wilmsmeier 10/2021 (Erzähler ohne Grenzen)
Wie schön es wäre, wenn wir uns mit allen Menschen dieser Welt verständigen könnten.
Wenn mehrsprachig erzählt wird, fühlt es sich für einen Augenblick so an — für die Erzählenden und das Publikum. Aber was ist mehrsprachiges Erzählen eigentlich? Eine Geschichte wird von mehreren Erzähler:innen in verschiedenen Sprachen vorangetrieben, ohne dass sie sich gegenseitig übersetzen. Der Erzählende greift einen wichtiger Aspekt von dem Vorgängen auf, um dann in seiner Muttersprache weiterzuerzählen. Die Geschichte wird vorab unterteilt, gemeinsame Körpersprache wird verabredet oder Überlappungen eingebaut — etwas Vollständiges entsteht. Jede Person, die auch nur eine der Sprachen spricht, kann die ganze Geschichte verstehen.
Wenn also eine Geschichte mehrsprachig erzählt wird, wird es zu etwas Größerem. Man spricht die gleiche Sprache, auch wenn man de facto den Anderen gar nicht versteht. Es ist die Sprache der Geschichte. Das Verstehen findet auf einen anderen Ebene statt, das jenseits des intellektuellen Begreifens ist. Es ist feinfühliger, es ist persönlicher, es ist unabhängig von kultureller Prägung. Diese Erfahrung wird auch dem Publikum zuteil — das Erzählen wird als besonders lebendig empfunden, da auch die Zuhörenden besonders aufmerksam der Geschichte folgen. Es führt zu einer Verbindung zwischen den Erzählenden und den Zuhörenden auf einer sozialen Ebene. Die Zuhörenden werden mitgenommen und nicht ausgeschlossen, auch wenn sie nur eine Sprache verstehen. Das Erzählen, das somit auch von großer Integrationskraft für alle Beteiligten ist, entpuppt sich als ein Beispiel für eine friedvolle und empathische Verständigung auf der Ebene des Menschseins. Das ist von großer Magie!
Achmad Hajtaha, einer der Erzähler (Geflüchteter aus Syrien, jetzt sesshaft in Türkei) formulierte es so:
„Ich habe entdeckt, dass das Verstehen eines Menschen nicht nur durch die Sprache funktioniert, sondern auch durch das Verstehen der Seele eines Menschen … erst kommt die Seele dann die Sprache.“
Vor gut einem Jahr, 2020, begann das interkulturelle Projekt „hep beraber – alle zusammen – all together“ — Deutsch-Türkische Initiative zur Zusammenarbeit in der Flüchtlingshilfe“ von DINX (Institut für Diversion, Innovation und nachhaltiger Praxistransfer). Die Projektleiterin Birte Gooses lud die Erzählerin Suse Weisse (Potsdam, Deutschland), Volkan Gültekin, Beril Sönmez, Ekin Su Birinci (Türkei), Achmad Hajtaha (Syrien, jetzt Türkei) von der Organisation Anadolu Kültür und mich, Britta Wilmsmeier (Berlin, Deutschland) ein, uns zu vernetzen für einen Praxistransfer im Bereich Erzählen.
Aufgrund von Corona konnten wir uns das ganze erste Jahr nicht persönlich kennenlernen. Wir haben uns per Zoom ausgetauscht, Zoom-Live Veranstaltungen organisiert und Fortbildungen entwickelt. Darauf basierend konnten wir, als wir uns endlich für einen zweitägigen Austausch im September 2021 in Istanbul trafen, produktiv weiterarbeiten. Auch dort entwickelten wir ein türkisches Märchen dreisprachig: arabisch, türkisch und deutsch als Beispiel für Good Practice.
Aufgrund der Kriege und Klimakatastrophen weltweit werden wir nicht umhin kommen, menschlich näher zu rücken und uns kennenzulernen, um Frieden zu bewahren. Solche mehrsprachigen Projekte und Auftritte geben Menschen die Möglichkeiten verschiedene Identitäten zu integrieren und andere kennenzulernen. Das Erzählen von Geschichten kann eine Brücke sein auf der man sich treffen kann. Mehrsprachiges Erzählen trägt dazu bei, dass wir aufmerksamer werden und inspiriert, uns von Mensch zu Mensch begegnen.